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Kjell fiel der Rotschimmer im braunen Haar des Botschafters auf, als er ihm in den ersten Stock folgte. Im Nacken stand das Haar ab, so dass sich eine ausgeprägte horizontale Linie bildete, als hätte ein ungeschickter Friseur sich mit einem einzigen Schnitt begnügt.
Die Treppe führte an drei Seiten der Halle entlang zum oberen Stockwerk. Maero ging schweigend voran. Ohne die geringste Geste oder ein Wort, wie man es wohl vom Gastgeber erwarten konnte, wenn er gemeinsam mit einen Besucher einen so langen Weg durch das Haus zurücklegt, setzte er einfach voraus, dass Kjell ihm folgte. Kjell malte sich aus, welches Schreckens es wohl bedurfte, bis ein Spitzendiplomat alle Umsicht für seine Umgebung verlor.
Im Arbeitszimmer des Botschafters wanderte sein Blick an den Wänden hinauf. Der Raum musste mindestens sieben Meter hoch sein. Die Winkel zwischen Wänden und Decke waren abgerundet, wahrscheinlich schon seit der Erbauung des Hauses in der Jugendstilzeit. Er konnte Blumenverzierungen darauf entdecken, allerdings hatte man sich beim letzten Anstrich keine Mühe gegeben, sie hervorzuheben. An einer Wand blickten Kjell drei alte Herren aus schweren Ölbildern an.
Kjell hatte noch nicht ganz begriffen, über wie viele Arbeits-, Repräsentations- und Privaträume der Botschafter tatsächlich verfügte. Aus den Unterlagen vom Außenministerium ging nur hervor, dass es eine Privatwohnung für repräsentative Zwecke hier in Oakhill gab und eine weitere in Östermalm, wo Maero keine Besucher empfing. Dieses Zimmer hier erweckte den Anschein einer Arbeitskanzlei, dennoch waren deutliche Züge von Repräsentation vorhanden. Der riesige Schreibtisch musste aus einer Epoche stammen, die dem Jugendstil weit vorausging, Empire vielleicht. Dahinter hing die Flagge Italiens. Doch sie wäre gar nicht nötig gewesen. Die Kargheit einer italienischen Amtsstube prägte den gesamten Raum. An der Decke hing sogar eine Neonröhre.
Botschafter Maero ließ sich an seinem Schreibtischsessel nieder.
„Fabia Terni ist in der Nacht von Samstag auf Sonntag in der Innenstadt bei einem Autounfall gestorben“, begann Kjell, nachdem sie sich beide gesetzt hatten. Er wunderte sich ein wenig, dass der Botschafter nicht längst danach gefragt hatte. Immerhin enthielt das Foto neben der Identität der Frau nur eine einzige weitere Information: Dass sie tot war.
„Am Samstag?“ Maero schlug seinen Kalender auf und blätterte, bis er den Samstag fand. „Sie war am vergangenen Freitag hier, um siebzehn Uhr. Sie kam vom Flughafen direkt zu mir und ist danach gleich zurückgefahren. Soviel ich weiß, musste sie weiter nach London.“
In den Jahren seiner Mission in Stockholm hatte er es zu einem wendigen Schwedisch gebracht, den starken Akzent hatte er jedoch nicht abstreifen können.
„Kam sie aus Rom?“
Der Botschafter nickte und stülpte dabei seine Lippen hervor, was deutlich zum Ausdruck brachte, dass er es nicht mit Gewissheit wusste, aber für wahrscheinlich hielt.
Kjell nickte und machte sich einige Notizen. Er hatte die Beine übereinandergeschlagen und seinen Schreibblock darauf gelegt. Es gab nur einen täglichen Direktflug aus Rom, Flug ET702 mit Ethiopian Airlines, und der kam bereits um zehn Uhr am Vormittag an. Von Arlanda bis hierher brauchte man höchstens zwei Stunden.
„Sie war also nur für kurze Zeit bei Ihnen, habe ich das recht verstanden?“
„Nicht länger als eine Viertelstunde.“
„Können Sie mir etwas über den Grund verraten, warum Frau Terni hierherkam?“
Nach kurzem Überlegen nickte Maero schließlich. „Angesichts dieses Unglücks, natürlich. Ihr Besuch ist nur eine Formalität. Fabia Terni ist Sonderkurier des Außenministeriums und überbringt neue Chiffrierschlüssel, die wir für die elektronische Kommunikation mit Rom verwenden.“
Kjell war auf dem Lederbezug seines Sessels schon ein wenig hinabgerutscht und musste sich hochziehen.
„Werden solche Kuriere dem Gastgeberland nicht angekündigt? Ich frage, weil wir natürlich versucht haben, sie in unseren Akten zu finden.“
„Nein. Aus Sicherheitsgründen wussten nicht einmal wir von ihrer Ankunft. Auch die Abstände solcher Besuche variieren.“
„Ich verstehe. War Frau Terni zuvor schon einmal in Schweden?“
„Warum fragen Sie das?“
„Weil wir glauben, dass ihr Tod kein Unfall war, sondern vielleicht ein Überfall.“
Maero starrte vor sich hin und schielte zum Telefon. Dann schüttelte er den Kopf. „Ein solcher Überfall würde nichts bringen. Frau Terni überbringt nur eine Teilsequenz, mit der allein man nicht viel anfangen kann. Sie müssen sich irren.“
Kjell zwang sich zu einem einsichtigen Nicken. „Wir können also davon ausgehen, dass Frau Terni unbeschadet hier ankam und ihr Dokument übergab?“
„Natürlich.“
„Danach verlor sie wie üblich ihren diplomatischen Schutz.“
Maero schüttelte den Kopf. „So ist es nur, wenn sie als akkreditierter Sonderkurier reist. Dann ist ihr Schutz an den Auftrag gekoppelt und erlischt, sobald sie die Sendung abgibt. Frau Terni nimmt jedoch auch Bestätigungsschlüssel entgegen. Sie hat permanent die höchste Immunitätsstufe. Ihre Immunität entspricht der eines Missionschefs.“
Schöne Scheiße, dachte Kjell.